Wer bei Arbeitskräften aus dem Ausland hauptsächlich an Saisonarbeiter denkt, die über einen kurzen Zeitraum die Möglichkeit nutzen, hierzulande Geld zu verdienen und anschließend zurück in ihre Heimat zu gehen (bis das Ganze wieder von vorne losgeht), unterschätzt die Bedeutung des internationalen Arbeitsmarkts für Deutschland enorm.
Wieso spielt Recruiting im Ausland für deutsche Unternehmen eine Rolle?
Oder vielmehr: Wieso sollte es? Es ist der oft beschworene und leider nicht ad acta gelegte Fachkräftemangel, der das Ausstrecken der Recruiting-Fühler über die Grenzen hinaus immer mehr von der Alternative zur Notwendigkeit werden lässt. Immer noch fehlen Fachkräfte in zahlreichen Bereichen und der demografische Wandel wird diesen Mangel in den nächsten Jahren noch weiter verstärken. Manche Prognosen sagen bis zum Jahr 2030 mindestens 3 Millionen unbesetzte Stellen voraus. Der Fachkräftemangel zieht sich dabei quer durch alle Branchen, vom Mittelstand bis in Konzernkreise. Besonders gefragt sind unter anderem:
- Ärzte und Ärztinnen
- Pflegefachkräfte
- Ingenieure und Ingenieurinnen
- Informatiker und Informatikerinnen
- Naturwissenschaftler und Naturwissenschaftlerinnen (MINT-Fächer)
Doch auch im Handwerk herrscht Nachwuchsmangel, der mit heimischen Arbeitnehmern nicht gedeckt werden kann. Wird in diesen Bereichen langfristig auf ausländische Fachkräfe verzichtet, drohen wirtschaftliche Schäden.
Arbeiten in Deutschland – warum eigentlich?
Für manche ist es bereits undenkbar, wegen eines neuen Jobs die Heimatstadt oder gar das Bundesland zu verlassen. Wieso sollte also jemand gleich sein komplettes Heimatland mit Freunden und Familie hinter sich lassen, um als Angestellter in Deutschland zu arbeiten? Abgesehen von individuellen Präferenzen und Beweggründen bietet das Arbeiten in Deutschland einige Vorteile, die im Wettbewerb um Fachkräfte aus dem Ausland echte Pluspunkte sein können.
Vorteile für Arbeitnehmer in Deutschland
Verpflichtende Krankenversicherung: Wer in Deutschland als Arbeitnehmer angestellt wird, muss sich krankenversichern. Was zunächst nach einer zusätzlichen finanziellen Belastung klingt, ist für viele jedoch ein Segen. Die Beiträge der gesetzlichen Krankenkassen sind schließlich vom Gehalt abhängig und somit für jeden bezahlbar. Gleiches gilt auch für die Pflegeversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung.
Einfaches Steuersystem: Die monatlich fällige Einkommensteuer wird direkt vom Bruttolohn abgezogen – als einfacher Arbeitnehmer muss man sich um nichts weiter kümmern (außer man möchte sich am Ende des Jahres etwas mit der Steuererklärung zurückholen). Auch das sieht in manchen Ländern auf der Welt ganz anders aus. Böse Überraschungen in Form unerwarteter Steuerforderungen gehören dort zur Tagesordnung.
Weitreichende Arbeitnehmerrechte: Arbeitnehmer genießen in Deutschland besonderen Schutz. Das beginnt bei den gesetzlich geregelten Kündigungsfristen und dem Mindestlohn, geht über den Urlaubsanspruch und die Gründung eines Betriebsrats und endet bei zahlreichen Menschenrechten wie dem Recht auf Gleichbehandlung und freie Meinungsäußerung. Im internationalen Vergleich wirkt Deutschland als Arbeitgeberland somit auf manche wie das Paradies.
Recruiting im Ausland: Wie funktioniert das?
Die genannten Vorteile können die Bereitschaft ausländischer Fachkräfte, für einen Job nach Deutschland zu ziehen, also deutlich erhöhen. Doch wie erreicht man die Fachkräfte überhaupt? Wo findet man sie, wie spricht man sie an und was erwarten sie von ihrem Arbeitgeber und dem Bewerbungsprozess? Als allererstes sollten die gewohnten Vorstellungen über Bord geworfen werden. Arbeitsmärkte, Bewerbungen und die Einstellung zum Job unterscheiden sich weltweit zum Teil deutlich, sodass man mit dem 08/15-Schema nicht besonders weit kommt. Es fängt bei ganz einfachen Dingen an: Während in Deutschland Bewerbungen immer noch häufig mit Fotos, Altersangaben, Familienstand und ähnlich privaten Informationen gefüllt werden, gelten in anderen Ländern Angaben wie diese als absolutes No-Go.
Am wichtigsten sind beim Recruiting im Ausland daher länderspezifische Kenntnisse, um Fettnäpfchen und Missverständnisse zu vermeiden. Als Recruiting-Werkzeug sind besonders soziale Netzwerke gefragt – logisch, denn nirgendwo anders lassen sich so einfach internationale Kontakte knüpfen, verwalten und sortieren. International aufgestellte Unternehmen können auch von ihren Offline-Kontakten vor Ort profitieren oder Interessenten aus aller Welt auf ihre eigene Karriereseite locken. Doch gerade der deutsche Mittelstand verfügt oftmals nicht über diese Möglichkeit, sodass Eigeninitiative oder professionelle Unterstützung gefragt sind. Offizielle Netzwerke wie das EURES-Portal oder die ZAV der Bundesagentur für Arbeit können erste Anlaufstellen sein. Für Recruiting außerhalb von Europa bieten sich private Personalvermittler an. Experten können außerdem dabei helfen, internationale Schul- und Berufsabschlüsse und ähnliches einzuordnen, um die fachliche Eignung potenzieller Bewerber zu prüfen. Und auch die Überprüfung der benötigten Dokumente wie Visum oder Arbeitserlaubnis sollte in fachmännische Hände gelegt werden.
Der nächste Schritt: Integration
Wenn der ideale Bewerber im Ausland gefunden und überzeugt werden konnte, beginnt die Arbeit jedoch oftmals erst. Die Unterschiede in Kultur, Sozialisierung, Religion und Mentalität können anfangs einige Probleme aufwerfen. Kulturspezifische Trainings sowohl für das bestehende Team als auch für den oder die Neue helfen dabei, die gröbsten Klippen zu umschiffen. Bestehende Onboarding-Prozesse sollten auf die ausländischen Kollegen angepasst und nicht einfach 1:1 übernommen werden. Der Rest ist einfach viel Kommunikation und Verständnis. Kein Unternehmen mit Fachkräftebedarf sollte sich vom Recruiting im Ausland abschrecken lassen – es bietet mehr Chancen als sich manch einer vorstellen kann.